Seit 01.01.2023 ist die vom Parlament im Jahr 2020 beschlossene Reform des Schweizer Erbrechts in Kraft. Diese bringt vor allem eines: Mehr Entscheidungsfreiheit über die Verteilung des eigenen Nachlasses.
Denn der Anteil am Erbe, der durch Testament oder Erbvertrag nach freiem Willen der Erblasser verteilt werden kann, beträgt nun stets mindestens 50 %. Bisher war der Nachlass in manchen Konstellationen bis zu 75 % durch den Pflichtteil gebunden. Als Pflichtteil bezeichnet man den Anteil am Nachlass, der den gesetzlichen Erben unabhängig vom Willen des Erblassers zusteht, über den also nicht durch letztwillige Verfügung (Testament oder Erbvertrag) frei verfügt werden kann.
Gesetzliche und durch Testament oder Erbvertrag bestimmte Erbfolge
Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, wenn der Erblasser kein Testament und keinen Erbvertrag hinterlassen hat. Dann werden die Erben durch das Gesetz bestimmt.
Hinterlässt der Verstorbene eine Ehefrau oder einen Ehemann oder eingetragenen Lebenspartner (bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern), erbt diese/r 50% des Nachlasses, wenn er oder sie den Nachlass mit den Kindern oder Enkeln des Erblassers teilt und, wenn er oder sie mit den Eltern oder Geschwistern des Verstorbenen teilt, 75% des Nachlasses. Hinterließ der Erblasser weder Kinder oder Enkel noch Eltern oder Geschwister oder Neffen oder Nichten, erbt der Ehepartner zu 100%.
Achtung: Eine gesetzliche Erbfolge zugunsten von Konkubinatspartnern, welche nicht eingetragene Lebenspartner sind, existiert in der Schweiz nicht. An diesen Regelungen hat sich durch die Reform auch nichts geändert.
Neben dem Ehe- oder Lebenspartner geht der Rest der Erbschaft (also das, was nach dem Anteil des Ehe- oder Lebenspartners übrigbleibt) an die Kinder des Verstorbenen und zwar zu gleichen Teilen. Sind keine Kinder und auch keine Enkel vorhanden, geht der Anteil an die Eltern des Verstorbenen oder an dessen Brüder und Schwestern oder, falls diese vor dem Erblasser verstorben sind, an die Kinder des vorverstorbenen Bruders oder der vorverstorbenen Schwester.
Hat der Erblasser ein Testament oder einen Erbvertrag hinterlassen, so bestimmt sich die Erbfolge zu einem wichtigen Teil nach diesem Dokument und nicht nach der oben ausgeführten gesetzlichen Regelung. Die Entscheidungsfreiheit des Erblassers wird jedoch durch das oben bereits beschriebene Pflichtteilsrecht erheblich eingeschränkt: Der Schweizer Gesetzgeber schreibt dem Erblasser vor, dass er seinen Kindern (oder, falls eines der Kinder vor ihm verstorben ist, dessen Kindern) und der Ehefrau oder dem Ehemann einen erheblichen Anteil von seinem Erbe zuteilen muss. Dieser gesetzlich garantierte Anteil wird entsprechend als Pflichtteil bezeichnet. Und hier zeigt sich die letzte Gesetzesänderung des schweizerischen Erbrechts: Bis zum 31.12.2023 stand den Kindern des Erblassers 75 % ihres gesetzlichen Erbanteils (siehe oben), den Eltern 50 % und dem/ der Ehepartner*in 50% ihres eben dargestellten gesetzlichen Erbanteils zu. Diesen Pflichtteil zu entziehen ist nur in besonderen Härtefällen möglich, die in Art. 478 des Schweizer Zivilgesetzbuches geregelt sind. Hierzu zählen zum Beispiel schwere Straftaten gegen den Erblasser.
Hinterlässt der Erblasser also beispielsweise nur seine Nachfahren als gesetzliche Erben, beträgt ihr gesetzlicher Erbanteil 100 % und ihr Pflichtteil 75 % des gesetzlichen Erbanteils, also 75 % des gesamten Nachlasses. Frei verfügen kann der Erblasser damit nur über 25 % des gesamten Nachlasses, da der Rest durch den Pflichtteil gebunden ist.
Das neue Pflichtteilsrecht
Durch die seit 01.01.2023 geltenden Neuerungen hat sich der frei verfügbare Teil am Nachlass nun vergrößert, da die Pflichtteilsansprüche auf maximal 50 % des gesetzlichen Erbanteils beschränkt wurden. Mithin kann der Erblasser nun stets mindestens 50 % seines Nachlasses durch letztwillige Verfügung nach eigenem Ermessen verteilen und damit beispielsweise im Konkubinat eine gerechtere Erbfolge herbeiführen.
Der Pflichtteil der Nachkommen beträgt nach neuem Recht nur noch 50 % des gesetzlichen Erbanteils und der Pflichtteil der Eltern ist vollständig weg gefallen. Somit verbleiben dem Erblasser in jedem Fall mindestens 50 % des Nachlasses zur freien Verfügung.
Zu den neuen Pflichtteilen nachfolgende Übersicht:
| Alte Rechtslage | Neue Rechtslage |
Nachkommen | 75% | 50% |
Eltern | 50% | 0% |
Ehepartner*in/ eingetragene/r Lebensparter*in | 50% | 50% |
Altes oder neues Recht: Was kommt wann zur Anwendung?
Auf Todesfälle vor in Kraft treten des neuen Rechts, also vor dem 01.01.2023, finden noch die alten Vorschriften Anwendung. Auf alle Todesfälle nach dem 01.01.2023 findet grundsätzlich das neue Recht Anwendung. Dies auch dann, wenn ein Testament unter altem Recht errichtet wurde. Das Testament wird damit durch die Änderung der Rechtslage nicht ungültig und muss auch nicht zwingend neu gefasst werden. Allerdings kann es sein, dass der Erblasser seine neuen Freiheiten nutzen und z.B. die nunmehr höhere verfügbare Quote seines Nachlasses einer Drittperson, z.B. einem Freund vermachen will.
Was bedeutet die Revision für meine Nachlassplanung/ meinen Erbanspruch?
Da bereits verfasste Testamente und Erbverträge ihre Gültigkeit in jedem Fall behalten, besteht in vielen Fällen kein zwingender Handlungsbedarf. Probleme können sich dann ergeben, wenn aus der Formulierung des jeweiligen Schriftstückes erkennbar ist, dass der Erblasser unter revidiertem Recht anders verfügt hätte, z.B. weil ein gesetzlicher Erbe soweit möglich von der Erbfolge ausgeschlossen werden sollte. Die Verfügung muss dann für den Einzelfall im Sinne des Erklärenden ausgelegt werden.
In Zweifelsfällen sollten Sie am besten gemeinsam mit Ihrem Anwalt überprüfen, ob in Ihrem Fall Handlungsbedarf besteht. Unsere Kanzlei steht Ihnen hierbei gerne und kompetent zur Seite.
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